Ein weiteres Zentrum des Widerstandes gegen die WAA bildete neben dem Evangelischen Bildungswerk in Regensburg vor allem der „Arbeitskreis Theologie und Kernenergie“, der sich in der Region zusammengeschlossen hatte. Vor allem dieser christliche Widerstand gegen die WAA musste die Betreibergesellschaft und nicht zuletzt die bayerische Staatsregierung umso mehr schmerzen, als er für sie völlig unerwartet kam. Man hatte „die Christen“ doch als treue Parteigänger und Befürworter der „offiziellen Atompolitik“ angesehen. Außerdem zeigte dieser Widerstand insofern eine große Kontinuität, als sich regelmäßige, allwöchentliche Andachtstreffen am Franziskusmarterl herausbildeten und auch die religiöse Feste und Feiertage den „christlichen iderständlern“ regelmäßig dazu dienten, hier ihren Protest gegen die Atompolitik in die Öffentlichkeit zu tragen. Keineswegs nur für konfessionell gebundene Oberpfälzer waren die regelmäßigen
Andachten am „Franzskus-Marterl“ in Altenschwand, die zumeist von Mitgliedern des „Arbeitskreises Theologie und Kernenergie“ vorbereitet und organisiert wurden, Pflichttermine, obwohl oder gerade weil der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß diese Veranstaltungen als „Werk des Teufels“ bezeichnet hatte. Auch die regionale Amtskirche stand im Regelfall in Treue fest auf Seiten der Atomlobby. Dennoch berief der Regensburger Bischof sich auf seine „Neutralität“ und glaubte darauf hinzuweisen zu müssen, dass man für alle – Befürworter und Gegner der WAA - da sei. Jedoch ermahnte der Generalvikar der Diözese Regensburg brieflich sechs katholische Pfarrer, die an ökumenischen Andachten teilgenommen und zum Widerstand gegen die WAA aufgerufen hatten, und untersagte ihnen, wenn auch erfolglos, die Anti-WAA-Gottesdienste am Franziskus-Marterl. Daraufhin wurden die betreffenden Priester gemaßregelt und strafversetzt. Das „Zentralorgan“ der Oberpfälzer Katholiken, das „Regensburger Bistumsblatt“, mutierte zeitweise regelrecht zum aggressiven Kampfblatt gegen Kernkraft-bzw. WAA-Gegner.                                                                                

 
Das Franziskusmarterl wird gebaut (Fotos Herbert Baumgärtner)    

 

Das „Marterl“ selbst, ein Kapellen-Bildstock im Südosten der unvollendeten Wiederauf-arbeitungsanlage Wackersdorf, war von christlichen Mitgliedern der BIs Schwandorf und Amberg nach Feierabend bzw. an Wochenenden auf einem von Landwirt Michael Meier für diesen Zweck gestifteten Areal eigenhändig erbaut worden, nachdem Architekt Dieter Meiler – ebenfalls Mitglied der BI – es gemäß den Richtlinien der Bauordnung geplant hatte. Ein Hektar des Geländes beim Marterl war vom Bund Naturschutz aufgekauft worden, um das Areal immer zugänglich zu halten.
Das Bauwerk selbst wurde auf einer Grundfläche von nur einem Quadratmeter erstellt, weil ein Gebäude dieser Größenordnung keiner Genehmigung der Behörden bedurfte, zumal es sich um ein „sakrales Gebäude“ handelte. Das Franziskusbild im Marterl wurde von Bernd Trepisch angefertigt. Am 30.09.1984 erfolgte das erste Kirchweihfest am Marterl. Dabei hatten sich die Kirchenleitungen ausdrücklich gegen die dort stattfindenden „wirtschaftsfeindlichen“ Veranstaltungen ausgesprochen, da die Firma Siemens – so seinerzeit der Finanzverwalter des Landeskirchenamtes, Kamm – viel Geld für die Kirche spende. Die erste Christmette wurde noch am Roten Kreuz abgehalten.

Stefan Preisl, bildender Künstler aus Burglengenfeld, schuf während der ersten Besetzung des Baugeländes im Dezember 1985 in dreitägiger Arbeit und bei bitterer Kälte aus Holz eine Christusfigur und nagelte sie an Händen und Füßen an ein zehn Meter hohes Fichtenkreuz, das mit Hilfe zahlreicher Helfer aufgerichtet wurde. Am 31.12.1985 wurde die Skulptur während der Silvesterparty im ersten Hüttendorf schließlich geweiht. Musikalisch gestaltet wurde die Feier von den „Kumpfmühler Sängern“, einer aus dem gleichnamigen Regensburger Stadtteil stammenden Gesangsgruppe, die sich dem traditionellen oberpfälzer „Volkslied christlichen Charakters“ verschrieben hatte.

 

Aufstellung des Kreuzes ersten Christusfigur im Hüttendorf (Dez. 1985)                  
(Foto A. Winter)
Schaffung der ersten Christusfigur durch Stefan Preisl

 

Während der Räumung des Baugeländes wurde die Christusfigur am frühen Morgen des 07. Januar 1986 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von Polizisten – in Begleitung eines Polizeipfarrers, der den Transport des Gottessymbols beaufsichtigte – abgesägt und weggetragen, bevor sie in einem Polizeiwagen abtransportiert wurde (Bild links). Sie fand nach ihrer Rückgabe an die BI beim Franziskus-Marterl Aufstellung, bis sie in einer der nächsten Nächte von bis heute unbekannten Tätern erneut entfernt und vermutlich geschreddert wurde.

 

 

Bis heute wird von WAA-Gegnern gemutmaßt, dass diese Aktion von der Polizei selbst oder zumindest mit deren Wissen und stillem Einverständnis erfolgt sei. Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Regensburg wies den Verdacht umgehend zurück und erklärte, der Bereich zum Marterl gehöre nicht zum ständig überwachten Bereich. Nachdem Preisl von der Entfernung seiner Skulptur erfahren hatte, schuf er in sechswöchiger Arbeit eine neue Figur, die zu Ostern 1986 vollendet war und sich noch heute am Franziskus-Marterl – in Nachbarschaft des alten Kreuzes, an dem nur noch die Hände der ersten, abgeschnittenen Figur zu sehen sind - befindet. In der darauffolgenden Zeit fanden am Marterl regelmäßig sonntägliche Gottesdienste und Andachten statt – in der Weihnachtszeit sogar bis heute. In der vorösterlichen Zeit wurden verschiedentlich Kreuzwege und ökumenische Passionsandachten abgehalten.

Die Andachten am Franziskus-Marterl wurden durch vielfältige musikalische Beiträge sowie Mundartdichtungen untermalt. Während der ersten Platzbesetzung im Dezember 1985 wurde auch eine
Weihnachtskrippe im Hüttendorf aufgestellt. Seitens des „AK Theologie und Kernenergie“, in dem sich atomkritische Pfarrer und Theologen zusammengeschlossen hatten, erfolgten immer wieder
Einladungen und Beherbergungen auswärtiger Anti-WAA-Gäste. Schließlich wurde sogar eine Fußwallfahrt nach Gorleben organisiert und durchgeführt. All diese Aktionen fanden anschließend
ausdrückliche Missbilligung seitens der regionalen Amtskirchenleitung. Über die Jahre hinweg stießen auch sonstige Bittwallfahrten, Kreuzwege und ökumenische Passionsandachten auf Kritik seitens der regionalen Amtskirchenwürdenträger

 

Drei profilierte Vertreter des christlichen Widerstands gegen die WAA am Marterl
Leo Feichtmeier (Mitte, 24.12.1985), Pfarrer Salzl, Pfarrer Andreas Schlagenhofer
(bei der Weihe des 2. Kreuzes am Franzskus-Marterl)

 

Symbole des christlichen Widerstandes
(Fotos A. Winter)
Andachten am Franziskus-Marterl
(Foto A. Winter)

 

 

 

 

 

Kreuzaufstellen, Andachten (Foto A. Winter und Kreuzwege gegen die WAA. (Foto Fotogruppe Strahlenfreie Oberpfalz). Auf dem besetzten Platz wurde ein
Christbaum aufgestellt (Foto Herbert Baumgärtner).

 

Im Gegensatz zu ihrem Regensburger Amtsbruder bezogen der Erzbischof von Salzburg, Dr. Karl Berg und sein Linzer Amtsbruder. Bischof Maximilian Aichern Stellung gegen die WAA, weil diese ihrer Meinung nach ethisch nicht vertretbar war. Entschiedene WAA-Gegner sammelten sich neben dem erwähnten „Arbeitskreis Theologie und Kernenergie“ bei den „atomkritischen Diakonen“, die in Eigenregie ebenfalls Andachten am Marterl planten und durchführten.