Uli Otto:
Die Träger des Widerstands, ihre Strategien, Aktivitäten und Widerstandsformen – ein allgemeiner Überblick


„Es ist fast unmöglich geworden, einen genau detaillierten, chronologischen und übersichtlichen Bericht über alle Geschehnisse, über den mutigen engagierten Kampf unserer Oberpfälzer Bürger zu erstellen, in dem alle Aspekte, alle Hintergründe enthalten sind“.
Dies schrieb der damalige Schwandorfer Landrat Hans Schuierer, als nacherbitterten jahrelangen Auseinandersetzungen das Ende des WAA-Projektes publik wurde. Bei diesem Befund ist es bis heute geblieben. Dennoch sollen im Folgenden einige Phänomene des kulturellen Widerstands gegen das Atomprojekt der bayerischen Staatsregierung wenigstens ansatzweise aufgezeigt werden, um dessen Breite anzudeuten.


Spaziergänger im Taxöldener Forst, 1986  (Foto A. Winter)​

 

Demonstranten-Alltag
Selbst wenn keine konkreten Aktionen und Veranstaltungen anstanden, war der regelmäßige und fast „ritualisierte“ Wochenendspaziergang im Taxöldener Forst bei Wackersdorf für viele Menschen nicht nur aus der unmittelbaren Umgebung des Baugeländes „Bürgerpflicht“. Abgesehen vom Kampf gegen die Gefährdung des eigenen Lebens wollte man die „Wackersdorfer“ nicht alleine lassen und durch Anwesenheit Solidarität und Unterstützungsbereitschaft bekunden.

Die Bürgerinitiativen gegen die WAA
Viele WAA-Gegner brachten sich – oftmals als Mitglieder der sich gegen die atomare Wiederaufarbeitungs-anlage formierenden Bürgerinitiativen - mit verschiedensten Aktivitäten für Bürgerrechte und demo- kratische Teilhabe und gegen die Atom-Industrie, eine vielen Menschen überheblich anmutende Staatsregierung und eine hochgerüstete, oftmals quasi militärisch auftretende Staatsmacht - sprich: Polizei und Justiz - ein. Sie waren die eigentliche Stärke der Anti-Atombewegung und damit mitverantwortlich für deren letztendlichen Erfolg. In der Regel war ihr Einsatz mit erheblichem Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden, und das Anti-WAA-Engagement geriet für manch einen unversehens zum „fulltime job“ neben einem normalen Berufs- und Familienleben. Man war Mitglied oder Sympathisant einer BI, von berufsständischen oder anderen Vereinen und sonstigen Gruppierungen, die sich gegen die geplante WAA konstituiert hatten.

 

Harald Grill, Marianne Läpple, Dr. Eberhard Klein, Hannelore
Thormann, Andreas Schlagenhaufer, Irmgard Gietl. Emma Gietl,
Dr. Walter Angebrandt

 Hauptträger des Widerstands waren mithin zweifellos die Bürgerinitiativen, die sich ab Anfang der 1980er Jahre gegen die WAA-Pläne in vielen Orten formiert hatten. Hier wurden  Infor-mationsvorträge, Diskussionsrunden, Vollversammlungen der einzelnen BIs, regel- mäßige Koordinations- und sonstige Arbeits-treffen und –sitzungen, Bürgerforen, Dachverbands-sitzungen und Landes-konferenzen geplant, durchgeführt, publizistisch begleitet und vor- sowie nachbereitet.

 

Die Anti-WAA-Aktivisten Ludwig Waldmann und Landwirt Meier
anlässlich einer Ehrung ihres Engagements gegen die WAA

Geradezu planmäßig organisiert und durchgeführt wurden von Mitgliedern einzelner BIs schon Anfang der 1980er Jahre oberpfalzweite „Nacht-und-Nebel-Aktionen“ wie das Überkleben von Ortsschildern mit großflächigen „WAA Nein-Aufklebern“ sowie Sprayaktionen vor allem im Raum Schwandorf und um Regensburg. Von einzelnen BIs wurden außerdem Pfingst- und Sommercamps abgehalten, die der Schulung wie der Weckung und Pflege der Solidarität untereinander dienen sollten.

Großen Arbeits- und Zeitaufwand erforderte das Sammeln von Unterschriften etwa anlässlich der Erörterungstermine in Neunburg v.W. So befuhr in deren Vorfeld im Winter Dr. Eberhard Klein, Ökobauer aus Brennberg, zusammen mit seinem kleinen Sohn die Nachbarschaft auf Skiern, um über 1.000 Unterschriften zu sammeln. In Neunburg v.W. nahmen neben prominenten auch zahllose namenlose WAA-Gegner an den öffentlichen Terminen teil. Sie hatten oftmals extra Urlaub für diese Erörterungsrunden genommen, um kritische Fragen formulieren und ihre Positionen in der Öffentlichkeit vertreten zu können.

In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre kam es zu verschiedensten phantasievollen Aktionen wie den „Widerstands-frühstücken“ einzelner BI-Mitglieder – etwa am 06.10.1987 oder am 13.02.1989, gegen die sogar polizei- lich vorgegangen wurde. Es gab Ankettungsaktionen seitens der „Sandkörner“ aus Nürnberg (am 24.02.1988), und versuchte Blockaden der Zufahrtswege zur WAA. Kamen WAA-Gegner aufgrund derartiger Aktionen vor Gericht, versuchten Anti-WAA-Sympathisanten als kritische Beobachter an den Gerichtsverhandlungen teilzunehmen, Öffentlichkeit herzustellen und ihre aktive Solidarität mit den Angeklagten zu bekunden.

Bereits seit Mitte der 1980er Jahre waren es neben den BIs aber immer wieder auch Vereine und Organisationen wie der „Arbeitskreis Kultur Regensburger Bürger e.V.“, die „Folk- und Volksmusikwerkstatt Regensburg und Ostbayern e.V.“, die Initiative „Kein Frieden mit der NATO“, Gewerkschaften aus dem Raum Regensburg - etwa die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowie die Postgewerkschaft - die sich in den Kampf gegen die WAA einbrachten. Dasselbe gilt für lokale Parteien wie die SPD, die Grünen und die DKP. Nicht vergessen werden dürfen daneben zahllose Einzelpersonen nicht nur in der Oberpfalz, die keiner Organisation oder Initiative angehörten, aber wiederholt Aktionen gegen die WAA planten, organisierten und durchführten, um z.B. den Rechtshilfefonds der BIs zu unterstützen und Gelder für Rechtsvertretungen und Prozesskosten vor Gericht gestellter WAA-Gegner zur Verfügung zu stellen.

Oftmals prägten profilierte Einzelvertreter die Außensicht des oberpfälzischen Widerstands gegen die WAA. Erwähnt sei zum einen der bereits genannte Kultursoziologe und Anthropologe Dr. Eberhard Klein, der sich schon Ende der 1970er Jahre in der Höllmühle beim oberpfälzischen Brennberg als einer der ersten Ökobauern niedergelassen hatte und seine damalige Freizeit mit vielfachen Aktivitäten vor allem dem Widerstand gegen die WAA widmete. Beispielhaft stehen kann auch der Maschinenbauingenieur Ludwig Waldmann aus Thannhausen, der auf nahezu allen WAA-Veranstaltungen und Diskussionsforen kompetenter und sachkundiger Diskutant war und mit seinen Redebeiträgen immer wieder auch die Spezialisten der DWK in Verlegenheit brachte.4 Als dritte exemplarische Figur sei hier der Landwirt Meier erwähnt, der ein Teilgrundstück am Franziskusmarterl unentgeltlich für die Andachtsbesucher zur Verfügung gestellt hatte. Der arbeitslose Nebenerwerbslandwirt, Kläger gegen die WAA und WAA-Grundstücksanlieger hatte sich geweigert, sein Grundstück an die WAA-Betreiberfirma zu verkaufen, obwohl man ihm Millionen dafür geboten hatte. 1985 reichte er als Nachbar der geplanten WAA Klage vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht ein und gewann 1988 den Prozess. Daraufhin wurde der Bebauungsplan für die WAA für ungültig erklärt

Neben den lokalen Bürgerinitiativen gehörten auch der „Bund Naturschutz“, die atomkritischen „Physiker der Universität Regensburg“, die „Ärzte und Psychologen für Frieden und Abrüstung“ sowie ein „Arbeitskreis atomkritischer Rechtsanwälte“ zu den für die BIs und sonstige Anti-Kernkraftaktivisten durch und boten ärztliche, naturwissenschaftliche. juristische und andere Beratungen und - wenn nötig - aktive Unterstützung an. Bereits am 16.01.1986 hatten 50 Physiker der Universität Regensburg unter Federführung von Professor Dr. Kreuzburg und Professor Dr. Obermaier in einer anschließend von weiteren 173 Physikern unterzeichneten Resolution vor den möglichen Gefahren einer WAA gewarnt.

„Weiße Demo“ - Anti-WAA-Demo der Ärzteinitiative gegen die WAA (Fotos Wolfgang Nowak)

Schon drei Jahre vorher, im Februar 1983, hatte sich der renommierte Medizinprofessor Dr. Begemann in einem offenen Brief mit seinen Bedenken an alle bayerischen Ärzte gewandt. Über 200 Oberpfälzer Ärzte solidarisierten sich mit dem Schreiben. Viele von diesen beteiligten sich in der Folge an verschiedensten Anti-WAA-Demonstrationen und unterstützten darüber hinaus beispielsweise Kulturveranstaltungen gegen die WAA durch Ausfallbürgschaften. Der Ärztebund für Umwelt und Lebensschutz hielt am 09.09.1985 seine Jahresversammlung mit 200 Teilnehmern in Schwandorf ab. Am 26.04.1987 hatte die Frauengruppe gegen die WAA  in Wackersdorf zur „Weißen Demo“ aufgerufen. Die Farbe weiß wurde gewählt, weil sie die Todesfarbe des Atomzeitalters sei.

dem ersten Jahrestag von Tschernobyl, führte die Ärzteinitiative in Wackersdorf eine „Weiße Demo“ gegen die geplante WAA durch und am 01.10.1988 folgte eine weitere Demonstration mit anschließendem WAA-Spaziergang von Ärzten in Berufskleidung.

An dieser Demonstration und bei einer darauffolgenden Podiumsdiskussion nahmen neben Professor Begemann und anderen Ärztevertretern auch profilierte Vertreter anderer Wissenschaftszweige teil, wie Hans Becker. Norbert Brox, Horst-Eberhard Richter, Harald Theml und Stefan Thierfelder.

Die „Ärzteinitiative für Frieden und Abrüstung“ erklärte sich darüber hinaus schon im Februar 1986 zu einer Ausfallbürgschaft bereit, sollte das für Anfang Mai des Jahres geplante Anti-WAA-Folkfestival aus irgendwelchen Gründen nicht durchgeführt werden können, und sie unterstützte in ähnlicher Weise auch andere Aktivitäten. Daneben wurden immer wieder auch Informationsveranstaltungen zu den Gefahren der Atomkraft, insbesondere der geplan-ten WAA, durchgeführt. Mit der Anti-WAA-Bewegung solidarisierende Ärzte, Sanitäter und Feuerwehrleute standen außerdem in ihrer Freizeit für Notfälle bei Demonstrationen, aber auch bei den zahlreichen Kulturveranstaltungen der BIs oder anderer Gruppen bereit.

 

Links: Schifffahrt auf der Donau – Aktion der „Regensburger   Mütter  gegen Atomkraft“ (Foto Herbert Baumgärtner)

Unten: Aktion der Regensburger Ärzteinitiative gegen die WAA (Foto Herbert Baumgärtner)

 

Neben solch berufsspezifischer Opposition gingen ähnliche Aktivitäten der Öffentlichkeits-arbeit aus von der „Geschichtswerkstatt Regensburg und Ostbayern e.V.“, der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ und, nach dem Atomunfall im ukrainischen Tschernobyl am 26. April 1986, nicht zuletzt von den Regensburger „Müttern gegen Atomkraft“.

Die Regensburger „Mütter gegen Atomkraft“ arbeiteten zum Beispiel mit dem Evangelischen Bildungswerk Regensburg und der „Gesellschaft für Bedrohte Völker“ zusammen und sorgten für die Unterbringung und Verköstigung der auswärtigen Gäste, als Vertreter verschiedener indigener Völker die Stadt und den Bezirk Regensburg besuchten. Diese Gäste kamen aus Gebieten, die unter den Folgen von Atombombenversuchen, Uranabbau und Atommülldeponien zu leiden hatten.

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